Home DIY Upcycling: Kaputte Socken retten, oder: wenn Menschen denken, dass mein Kind friert

Upcycling: Kaputte Socken retten, oder: wenn Menschen denken, dass mein Kind friert

by Undine Almani

Als Upcycling aufkam, gab es so eine Zeit, in der der Hype ein bisschen Überhand nahm. Jeder Scheiß wurde upgecycelt. Heute finde ich es auch manchmal noch ein bisschen strange, wenn Leute aus Klorollen Geschenkpackungen machen und aus jeder abgebrochenen Büroklammer noch was rausgeholt werden muss. Das führt irgendwie nicht zu weniger Kram insgesamt. Aber bei Stocken und Stricksachen bin ich voll dabei.

Fünf Jahre haben diese Wollsocken mich jetzt begleitet. Ich hatte die im Yoga an. Kennt ihr diese Yogalehrer, die einen immer mit Nachdruck ermutigen, doch die Socken auszuziehen? So nach dem Motto: Ein guter Yogi macht alles barfuß, am besten im Schnee. Und ich so: Fuck that! Für 20€/Stunde könnt ihr auch die Heizung anmachen. Oder wir hören einfach alle auf, diese lahmarschigen gestandeter-Wahl-Fußboden-Liegeübungen zu machen und fangen an, uns zu bewegen. Nein? Okay, dann bleiben die Socken an!

Die Dinger sind so eine Art Symbol für nicht frieren müssen und gemütlich machen. Vor ein paar Tagen hatte ich sie wieder an und irgendwie war da dieses komische Gefühl, von unterkühlten Füßen, die ein kleines bisschen am Boden klebten, kalt und staubig. Und icht dachte: Hä? Bin doch gar nicht barfuß? Ja, waren wohl durch, die Guten.

Öko, der ich bin, konnte ich sie nicht einfach auf den Sockenfriedhof geben. Welchen auch? Stoffe in den Restmüll, blöd. Kleiderspende: Glaube nicht, dass viel davon wirklich recycelt wird. Wertstoffhof? Bei unserem gab es keine Abteilung für Textilien, aber ich lasse mich natürlich gern eines Besseren belehren.

Socken Upcycling: Der kaputte Fuß-Teil muss ab. Anschließend wird die Socke aufgetrennt. Dabei kann man immer wieder hängen bleiben und am besten man friemelt ganz langsam den Wollfaden aus den Schlafen. Sobald man hängen bleibt, muss man gucken, ob man einen drüber liegenden Fadenlauf findet, der zuerst aufgetrennt werden muss. Sonst verknotet sich alles. Ganz schöne Friemelarbeit.

Ich habe schon öfter Sachen aus alten Socken gemacht, weil sie einerseits aus super Wolle bestehen, andererseits schön dehnbar sind. Eine Puppenmütze und Puppensocken für unser Babykind. Und diese hier werden nun zu Stulpen für das Flauschi.

Socken-Upcycling: Puppenmütze.
Dieses kleine Baby ist fast 35 Jahre alt. Ich habe als Kind selbst damit gespielt. Jetzt darf mein eigenes Baby damit spielen. Aus alten Alpaka-Socken habe ich eine Kleine Mütze gemacht. Man muss dafür die Socke nur oben viermal einschneiden und die vier Teile spitz zuschneiden. Dann mit der Overlock zusammen nähen, damit es nicht ausfranst.

In der Kita hieß es nämlich: Es ist zu kalt an die Beinchen, wir sollen ab jetzt besser Strumphosen drunter ziehen unter die Hose. Ein Gedanke, der bei mir Widerwillen auslöst. Ich finde, Deutsche ziehen ihre Kinder echt chronisch zu warm an. Kinder frieren von selbst nicht so krass, die bewegen sich doch ständig. Ich merke meistens, dass ihr noch gut warm ist und ja, Hände werden kalt, wenn keine Handschuhe dran sind. Aber nicht jeder braucht Schal und Mütze, wenn er tobt und rennt. Außerdem haben wir kaum Strumpfhosen. Und wenn ich dem Kind jetzt jedesmal eine Strumpfhose unter die Hose ziehen müsste, dann würden auch alle aktuell passenden Hosen mit einem Schlag nicht mehr passen. Was ein bisschen scheiße wäre, denn in der nächsten Größe habe ich nicht so viel.

Socken Upcycling: Puppen-Mütze und Söckchen. Für Puppenkleidung haben kaputte Socken gerade noch die richtige Größe. Weil sie schön elastisch sind, halten die Sachen total gut. Die Motte will sie der Puppe gar nicht mehr ausziehen. (Naja, vielleicht kommt diese Puppen-nackigmachen-Phase noch…)

Ich fand den Gedanken irgendwie absurd. Oben ein dicker Parka, unten Winterschuhe. Nur weil ein bisschen Wade ab und zu raus guckt? Das ist doch normal. Ich lauf im Winter auch mit hochgekrempelter Hose rum (Hipster-Street-Credibility muss sein). Und ich friere offenbar auch viel schneller als mein Kind (könnte dran liegen, dass man auf dem Spielplatz immer nur daneben steht und denkt: Okay, nach 250 Runden auf der Rutsche: Na? Wird’s nicht langweilig? Wirklich nicht? Gar nicht? Nein…? Wieso denn nicht?!).

Socken Upcycling: Wenn die Socke sauber aufgetrennt ist, steckt man die Häkelnadel in eine Schaufe und trennt bis dort hin auf. Dann wird gehäkelt. Für einen elastischen Abschluss immer eine Schlaufe stricken und dann eine neu aufgenommene Schlaufe durch die beiden nebeneinander liegenden ziehen.

Wir haben uns also erstmal entschieden, dass mit den Socken auf später zu verschieben. Auf den richtigen Winter. Den mit dem Schnee und den Minusgraden. Ich finde die Winter ohnehin alle mild heute. Als ich ein Kleinkind war, hatten wir noch -20°C und Iglus gebaut auf den Strapeßn. Mit 18 rannte ich im dünnen Filzmantel im zugigen Berlin rum. Das war so ein jugendlichtes Intellektuellending. Ich hatte auch noch einen vollkommen absurden weißen Schal dazu. Unter Theater-Regisseuren war das damals der letzte Schrei. Ist so ählich wie rote Schals bei linken Politikern, nur weniger politisch und weniger rot. Oder wie Fußballschals aber ohne peinliche Fußballtypo drauf. (Ich bin ein heimlicher Pauli-Fan aber ich würde nie einen Fußballschal tragen, außer am Strand vielleicht). Jedenfalls fror man immer oder man bewegte sich eben. Jetzt bin ich 35 und friere immerzu. Vielleicht geht es den Eltern mit den Strumpfhosen-unter-der-Hose-Kindern ja genauso? Vielleicht frieren sie selbst, weil sie zu lange keinen dummen Teenie-Mantel anhatten. Und dann müssen die Kinder natürlich auch frieren. Übermüdete-Eltern-Logik. Man packt also sich gemeinschaftlich dick ein, damit keiner beim Anblick des Anderen friert.

Socken Upcycling: Armstulpen oder Babystulpen.
Das abgekettelte Ende wird mit einer 0.75 mm Häkelnadel gemacht.

Schon meine eigene Mutter sagte immer zu mir: Mach die Jacke zu, mir wird ganz kalt! Ich bin da mehr so: Mach die Jacke zu, niemand will deine Brustbehaarung sehen! Ich friere nicht, wenn ich sehe, dass andere Leute keinen Schal tragen. Mir tut auch nicht das Bein weh, wenn sich ein anderer Mensch auf die Fresse legt. Woher kommt sowas? Ist das Empathie? Falls ja, darin war ich eh schon immer mordsmäßig schlecht.

Ich finde Empathie auch nicht wirklich cool. Das ist so wie Intuition. Alle labern davon, dass Frauen sie haben müssen aber eigentlich ist es doch bloß ein bescheuertes Wort für Erfahrung und Logik. Empathie ist eben ein praktischer Ersatz für langes Nachdenken. Ich kann etwas nachfühlen, also muss ich es nicht im Detail verstehen. Für mich hat das noch nie funktioniert. Für mich war es immer so: Ich muss verstehen, wo ein Gefühl herkommt und was es bedeutet. Ich kann einen anderen Menschen und seine Gefühle nicht verstehen, wenn ich mir seine Situation nicht genau vorstelle. Ich kann also auch nicht für jemand anderen frieren.

So sieht die fertige Kante aus.

Wie finde ich jetzt raus, ob mein Kind friert? Geiler Trick für Eltern. Passt auf. Man kommt nicht drauf, wenn man es nicht weiß. Aber es funktioniert erstaunlich gut. Der geheime Trick ist: Fragt das Kind! (Alternativ: Nacken sollte sich warm anfühlen, nicht schwitzig, und ja, die Hände dürfen auch mal kalt sein, das Näschen rot aber die Lippen nicht blau.)

Nein. Im Ernst! Ich weiß, Kinder erzählen viel Quatsch. Aber manchmal auch nicht. Ich hab mir erlaubt, meinem beizubringen, was heiß und kalt bedeuten und wenn wir draußen sind, und ich merke, sie hat kalte Pfoten, frage ich: Ist dir kalt? Natürlich will sie deswegen trotzdem nicht heim, das wird sie nie sagen. Die spielt, bis die Finger blau sind. Aber die Frage beantwortet sie immer ganz normal.

Ich traue meinem Kind zu, dass es bestimmte Sachen einfach kann. Ich kann sie auch fragen, wo es wehtut, und bekomme eine sinnvolle Antwort. Es ist erschreckend, wie wenig Kinder gefragt werden, wenn es um sie geht. Viele Kinderärzte fragen Unterdreijährigen und teilweise noch älteren Kindern oft nur die Eltern. Kinder werden nur indirekt angesprochen oder ignoriert, was ihren Fähigkeiten überhaupt nicht gerecht wird. Ich weiß außerdem, wann mein Kind wirklich mit mir redet und wann nur irgendwelche Quatschsätze raus kommen. Sie kann Aua Beini! sagen. Das heißt sicher nicht, dass ihr der Arm weh tut. Jeder Depp kann das verstehen, es braucht keine Legitimation aus der Fachliteratur. In einem Kinderheilkundebuch habe ich ohne Spaß mal gelesen, dass Kinder bis drei eh immer nur auf den Bauch zeigen würden bei einem Trauma und man sie deswegen nicht fragen bräuchte, wo es weh tut, sondern gleich bildgebende Methoden nutzen sollte. Ist ja richtig, dass man das Kind vollständig untersuchen muss, aber man kann wenigstens fragen. Ich frage mein Kind immer, wenn ich etwas wissen will, was ihre Empfindungen betrifft, einfach aus Prinzip. Und zwar auch dann, wenn ich keine sinnvolle Antwort erwarte. Ich sage mir, dass es ihre Selbstbestimmtheit ausmacht. Wenn man gewöhnt ist, dass man gefragt wird, wenn es um einen selbst geht, dann bedeutet das was.

Socken Upcycling: Armstulpen sind auch eine Möglichkeit. Die Sockenwolle ist super flauschig und hält warm. Wenn mein Baby sie nicht mag, muss ich sie wohl selbst behalten!

Insofern werde ich sie auch, wie bei allen Klamotten fragen, ob ihr die neuen Sachen gefallen. Sie stellt sich mit neuen Pullis gern vor den Spiegel und dreht sich dann davor, um alle Seiten zu sehen. Von mir hat sie das nicht aber es sieht sehr süß aus.

Ich hoffe, dass sie die Stulpen mag, denn sie sollen die Alternative zu der Idee mit den Strumpfhosen sein. Ich habe die Socken einfach aufgetrennt und das Ganze dann mit einer 0.75mm-Häkelnadel abgekettelt. Das war super easy, hätte ich nicht gedacht. Man könnte sie auch als Armstulpen nehmen. Voll cool, jetzt haben die Dinger noch ein zweites Leben. Nachher kann sie sie angucken. Mal sehen, ob sie damit was anfangen kann.

You may also like

Leave a Comment